Eine Rezension von Oliver Leibbrand

978-3-931965-55-6
Herbert Friedrich: Der Tod des Weltmeisters (©Maxime-Verlag)

Der Tod des Weltmeisters – Eine Radsportkarriere im Dritten Reich.


Eine Rezension von Oliver Leibbrand (Bargum), die zu lesen lohnt…


Mit seinem nun neuaufgelegten Roman über den Kölner Radrennfahrer Otto Pagler taucht der Autor Herbert Friedrich ab in die düstere Zeit des Nationalsozialismus. Schonungslos beschreibt er nicht nur die Härten des Radsports, sondern vor allem das politische Klima, die Radikalisierung der Gesellschaft und die Judenverfolgung, von der auch die Radsportszene der 1930er Jahre nicht verschont blieb. Friedrich, der in der DDR aufwuchs, veröffentlichte sein Werk schon 1971 unter dem Titel „Der Kristall und die Messer“. Ab der zweiten Auflage wurde der bisherige Untertitel zum Haupttitel und hieß „7 Jahre eines Rennfahrers“. Es gab tschechische, lettische und niederländische Übersetzungen. In Westdeutschland war das Buch nicht erhältlich.

Der Roman greift zahlreiche Begebenheiten und Parallelen rund um das Schicksal des berühmten Radrennfahrers Albert Richter (1912-1940) auf, der mehrfach Deutscher Meister und zweimaliger Vizeweltmeister war. Die Hauptfigur, Otto Pagler, wird zum Aushängeschild der Nation. Sein jüdischer Trainer erlebt wie sich alle gesellschaftlichen Bereiche militarisieren. Er wird zunehmend schikaniert, ausgegrenzt und muss schließlich um sein Leben fürchten. In Pagler wächst der Widerstand gegen das Regime, das den väterlichen Freund und Trainer verfolgt. Zusehends traut sich der politisch eher unbedarfte Rennfahrer „Farbe zu bekennen“; distanziert sich vom nationalsozialistischen Weltbild und solidarisiert sich mit seinen jüdischen Freunden und ausländischen Rennfahrerkollegen, obwohl seine Siege für „Führer, Volk und Vaterland“ gefeiert werden. Er schmuggelt Geld, deponiert eigenes Geld im Ausland, widersetzt sich, wird verhaftet und bezahlt, wie Richter, den höchsten Preis – sein Leben.

Im vorliegenden Roman schafft es Herbert Friedrich, die äußerst beklemmende und angsterfüllte Stimmung dieser Zeit einzufangen. Deutlich wird auch, dass die Nationalsozialisten danach strebten, das Idol des Berufssportlers durch den Kriegsheld zu ersetzen. Und so wird auch Otto Pagler zum Schluss des Buches nahe gelegt, sich reumütig bei der Wehrmacht zu melden, was ganz im Sinne des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten war, der damals forderte: „Meine besten Sportler sollen auch des Führers beste Soldaten sein.“ Doch Pagler und Richter blieben ihren Idealen treu.

Umso lesenswerter wird diese von Friedrichs selbst überarbeitete Neuausgabe des Romans vor dem Hintergrund, dass der Autor als heranwachsender und junger Soldat selbst den Nationalsozialismus miterlebte und danach in Kriegsgefangenschaft war, wie aus dem Nachwort von Elmar Schenkel hervorgeht. Darüber hinaus ist es interessant, dass in der DDR verschiedene Sportstätten und ein Kinderheim nach Albert Richter benannt wurden. Es existierten auch Sonderbriefmarken, die an Sportler erinnerten, die unter der NS-Diktatur ums Leben kamen – darunter auch Richters Portrait. In Westdeutschland veröffentlichten Raimund Weber und Tillmann Scholl 1989 den Dokumentarfilm Auf der Suche nach Albert Richter – Radrennfahrer, auf den das Buch von Renate Franz, Andreas Hupke und Bernd Hempelmann Der vergessene Weltmeister – Das rätselhafte Schicksal des Kölner Radrennfahrers Albert Richter, 1998 folgte. So wurde mehr über das Leben, die sportliche Karriere und die dramatischen Umstände seiner Ermordung in Lörrach bekannt. Richter wurde posthum in die „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen. Heute gibt es in Köln die neu errichtete Albert-Richter-Bahn, eine Gedenktafel an der ehemaligen Rheinlandhalle und einen Stolperstein, die an das Schicksal des Radrennfahrers erinnern.

Durch die Neuausgabe dieses Romans, der äußerst gekonnt historische Fakten mit frei erfundenen Figuren verknüpft, wird dieser Stoff nun in einer anderen Form und aus einer anderen Perspektive wiederbelebt. Für den radsport- und/oder geschichtsinteressierten Leser ist das Buch von Herbert Friedrich ideal, denn es zeigt, dass Sport- und Gesellschaftsgeschichte untrennbar sind. Gerade jetzt, wo aufgrund der steigenden Zuwanderung nach Europa, rechtskonservative Stimmen, Vorurteile und Stereotype zunehmen, ist diese aufwühlend geschriebene Geschichte, aus einer Zeit die uns Deutsche bis heute beschäftigt, sehr zu empfehlen.

Oliver Leibbrand, Bargum


Herbert Friedrich: Der Tod des Weltmeisters – Eine Radsportkarriere im Dritten Reich, Maxime-Verlag 2015; 448 Seiten, Format 12 x 21 cm, Hardcover Feinleinen; ISBN 978-3931965556


Buch: Der Tod des Weltmeisters